Explizit und kinky: Sonnenstein – Mercy 3
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Explizit und kinky: Sonnenstein – Mercy 3

Allerspätestens mit den Büchern Fifty Shades of Grey sowie den zugehörigen Filmen dürfte das Thema BDSM bzw. kinky Lebensweisen im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angekommen sein. Wer weiß, vielleicht hat das sogar dazu geführt, dass manche Menschen in Bezug auf Sexualität und wie Menschen miteinander verkehren können, auf Entdeckungsreise gegangen sind. Kink und BDSM jedenfalls sind nicht neu und auch keine Modeerscheinung; wer kinky leben möchte, findet genügend Möglichkeiten dazu, sich auszutoben. Erst am vergangenen Wochenende fand im mecklenburgischen Eldena das Equinoxe Vibes Festival statt. Vier Tage Sommer, Sonnenschein, Musik und Sex. Das ist nur ein Beispiel von sicher ganz vielen; wer zur Zielgruppe gehört, kennt sich da sicher aus. Sex in Comics ist ebenfalls nicht neu. Von dem, was in japanischen Mangas so abgehen kann, fange ich hier gar nicht erst an.

Allerdings: Es gibt viele Comics, die Pornos gleichen und expliziten Sex zeigen, dabei aber vergessen, dass man ja eigentlich auch eine Geschichte erzählen könnte. Müsste. Sollte. Sex in amerikanischen Comics hingegen ist eher so eine Sache, schließlich sind die Leute über dem großen Teich etwas prüde, wenn es um Nacktheit und/oder Geschlechtsverkehr geht. Versucht nur mal, als Frau bzw. weiblich gelesene Person, ein Oben-ohne-Foto bei Instagram zu posten. Und dann versucht das gleiche Spiel noch mal als Mann bzw. männlich gelesene Person.

Eine Ausnahme, in mehrerlei Hinsicht sogar bemerkenswert, sind die Sonnenstein-Comics von Stjepan Šejić. Sie erscheinen in den USA bei Top Cow (Image Comics), also einem Mainstream-Verlag, bei dem sonst Serien wie Witchblade oder The Darkness beheimatet sind. Und sie sind ziemlich explizit in ihrer Darstellung; hierzulande müsste eigentlich mindestens etwas wie „Leseempfehlung ab 18 Jahren“ auf dem Buchdeckel prangen. Aber mehr noch als alles andere: Neben heißen Sexszenen hat der Autor die Handlung nicht vergessen. Und damit komme ich nun zum dritten Band von Sonnenstein – Mercy.

In parallel erzählten Handlungsbögen wirft uns Autor und Zeichner in Personalunion, Stjepan Šejić, mitten hinein in das Leben der Studierenden Ally und Alan. In einer Art Rückblende erzählt Alan davon, wie sich die beiden die Schlüssel zum Dachboden ihres Uni-Gebäudes ergatterten, um diesen zu ihrer Spielwiese zu machen. Beide folgen der Vorstellung, Doms werden zu wollen. Ihre Verbindung ist quasi eine Art Freundschaft+, was es den beiden ermöglicht, sexuell alles auszuprobieren, was ihnen in den Sinn kommt. Anal-Plugs, Bondage-Spielereien, Rollenspiele, … die Liste der Dinge, die sie ausprobieren wollen und tatsächlich ausprobieren, ist lang. Dabei entwickeln sie buchstäblich eine Sexsucht, die sie ihre anderen Verpflichtungen vergessen lässt. Bis zu dem Punkt, an dem fraglich ist, ob sie ihre Semesterziele noch erreichen. Und dann wird es wirklich kompliziert.

Kompliziert wird es auch zwischen Anne und Laura, die in einer lesbischen Beziehung leben. Es gibt da dieses Sprichwort, dass Eifersucht eine Leidenschaft sei, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Passt wie der buchstäbliche Arsch auf Eimer auf das fragile Beziehungskonstrukt der beiden Frauen. Denn die eine, Laura, hat Narben auf der Seele, tief und scheinbar nicht wirklich zu kitten, nachdem sie zweimal betrogen und hintergangen wurde. Die andere, Anne, hat noch keine große Beziehungserfahrung und weiß nicht, wie sie mit diesem oder jenem umgehen soll. Ähnlich wie bei Ally und Alan müssen auch Laura und Anne lernen, dass Luftschlösser selten sonderlich stabil gebaut sind. Dass Beziehungen stets auch harte Arbeit und Bereitschaft zu Kompromissen erfordern. Und dass der Blick hinter die Fassade, den man vielleicht so lange vermieden hat, schmerzlich sein kann.

Ach, es wäre so leicht, die Sonnenstein-Comics auf die tollen, gleichwohl sehr expliziten Bilder zu reduzieren. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich einen US-amerikanischen Comic in der Hand hatte, der ähnlich deutliche Bilder zeigte. Allerdings: Um männliche Geschlechtsteile, errigierte noch dazu, macht auch Sonnenstein einen Bogen; so weit reicht der Mut dann scheinbar doch noch nicht. Aber es sind nicht der Sex sowie die vielen Spielarten des BDSM, die hier anschaulich thematisiert werden, ohne das Ganze in eine anrüchige oder schmuddelige Ecke zu drängen, die den Comic auszeichnen.

Es ist eher das feine Fingerspitzengefühl des Autors, die Themen anzusprechen und exakt das Gegenteil zu bewirken und sie von Bildern aus der Klischee-Porno-Hölle, die vermutlich in vielen Köpfen von YouPorn-Konsumierenden herumschwirren, zu befreien. Da sind die beiden Studierenden, die diese frivole Lebensweise für sich entdeckt haben, sich ausprobieren und unterwegs ihre Freundschaft verlieren, weil sie, Safeword hin oder her, nicht rechtzeitig auf die Bremse getreten sind. Bevor aus Spaß Frust wurde und sich dieser Frust in einem Streit entlud, der ziemlich final ausgefallen ist. Da sind die beiden Frauen, die ihr Leben teilen wollen, aber letztlich nicht können, weil Vertrauen ein Gut ist, das nicht zurückzubekommen ist, wenn es erst einmal verloren gegangen ist. In beiden Fällen lässt sich sagen: Sprechenden Menschen kann geholfen werden. Aber scheitern nicht die meisten Beziehungen, ganz gleich welcher Art, oft daran, dass die Leute nicht miteinander reden?

Auch dieser dritte Band von Sonnenstein – Mercy ist wieder große Comickunst für ein erwachsenes Publikum. Es ist Stjepan Šejić hoch anzurechnen, dass die schönen Menschen und die vielen, sexuell sehr eindeutigen Bilder nicht irgendwelche voyeuristischen Triebe befriedigen sollen. Vielmehr ist es so, dass durch den Kontrast – nämlich immer dann, wenn wir am restlichen Leben der teilhaben – die handelnden Figuren glaubhafter, lebensnaher und greifbarer werden. Leute wie du und ich. Und deshalb durch die Bank sympathisch. Bisher, so kündigte es der Autor an, war seine Darstellung der BDSM-Community auf Sicherheit und Konsens ausgerichtet. Es gibt jedoch auch Spielarten, die trotz Konsens riskant sind. Dorthin soll es künftig gehen. Es wird sich zeigen, ob es für Ally und Alan sowie Laura und Anne noch ein Happy End geben wird, das über einen Orgasmus hinausgeht.

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Roman Jasiek

Magdeburg, Germany
Hi, ich bin Roman! Ich bin ein Kind der 80er und schreibe seit Ende der 1990er-Jahre Dinge ins Internetz. Mein Herz schlägt für Musik, Comics, Collectibles, Essen, Reisen, Wandern und meine Lieblingsmenschen. Ich lebe und arbeite in Magdeburg.