Die anderen (vergessenen?) Malediven
© Roman Jasiek

Die anderen (vergessenen?) Malediven

Über die Malediven zu schreiben, einen Reisebericht noch dazu – es wäre ein Leichtes. Allein schon der Begriff Malediven malt Bilder in die Köpfe derer, die einen entsprechenden Artikel lesen. Weiße Strände, kristallklares, himmelblaues Wasser, tropische Temperaturen, Sonnenschein, eine Wunderwelt voller bunter Fische … – na? Bild schon im Kopf?

Nicole und ich sind im Juli dieses Jahres für einige Tage auf den Malediven gewesen. Schnorcheln, relaxen, fürstlich schlemmen und all die Dinge genießen, die ich zuvor aufgezählt habe. Safari Island hieß unsere kleine Insel, unser kleines Paradies in jenen Tagen, und ist der absolute Traum für alle, die ganz dringend ihre persönlichen Batterien wieder aufladen müssen. Gelegen im Nord-Male-Atoll benötigt man allenfalls eine großzügige halbe Stunde, um das Eiland einmal zu umrunden. Ich merke gerade, dass ich schon wieder direkt ins Schwärmen geraten könnte. Ich spüre einen Impuls, Euch zu erzählen, wie herrlich diese Insel war, wie gut das Essen, wie freundlich das Personal, wie abgefahren der Transfer von Malé bis zur Insel mit dem Wasserflugzeug und wie wenig Entertainment man vor Ort tatsächlich braucht. Schnorcheln, essen, schlafen, liegen oder sitzen und auf die Unendlichkeit des Wassers glotzen, und gut ist.

Aber das ist nicht das Thema dieses Artikels bzw. mein Anliegen.

© Roman Jasiek

Aufgrund gemachter Erfahrungen möchte ich den Blick woanders hinlenken. Auf, ich nenne es jetzt mal so, die wahren Malediven. Und wie es die Augen öffnet für das, was man als normaler Tourist beim Besuch der Malediven vermutlich schnell übersieht.

Der Archipel besteht aus mehreren sogenannten Atollen und insgesamt knapp 1200 Inseln. Rund 80 bis 110 dieser Inseln werden als Resorts touristisch genutzt, aufgerundet 200 davon sind Inseln mit dauerhaft einheimischer Wohnbevölkerung. Wer heute via Katalog oder Internet eine Reise auf die Malediven bucht – für gewöhnlich dürften das Pauschalangebote sein –, hat wohl kaum Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Erkundigt man sich beim Personal, woher die Person stammt, mit der man sich gerade unterhält, bekommt man oft zu hören: Indien. Oder Sri Lanka. Einstweilen trifft man auch auf Menschen aus Thailand oder Malaysia. Aber echte Malediver? Geboren und aufgewachsen auf einer dieser wunderschönen Inseln? Eher selten. Warum auch immer.

© Roman Jasiek

Safari Island hatte diverse Dinge in petto, um uns in Verzückung zu versetzen. Dass wir beispielsweise am Tage unserer Ankunft ein kostenloses Upgrade auf einen dieser fancy Wasserbungalows bekamen, war eines davon. Dass wir später wieder umsiedelten in eine Butze am Strand, ist eine andere Geschichte. Teil des Komplettpakets war aber auch ein Ausflug mit einem Dhoni, einem dieser traditionellen Boote der Malediven, zu einer der Nachbarinseln. Einige davon waren bei Spaziergängen am Strand mit bloßem Auge sichtbar.

© Roman Jasiek

Nun waren wir inmitten der Regenzeit auf den Malediven. Diesen strahlend blauen Kataloghimmel, der einem in Werbung und Social Media präsentiert wird, hatten wir gar nicht so oft, wie man vielleicht annehmen mag. Und an jenem Tage, an dem die Überfahrt zur Nachbarinsel stattfinden sollte, war der Himmel sehr grau. Regen: sehr wahrscheinlich. Aber, wie sagte es die Dame von der Rezeption so schön, die See ist ruhig, der Himmel nicht so sehr, das Boot fährt ab. Also bestiegen wir das Dhoni, machten es uns am Bug bequem und schaukelten für eine gute Stunde über den Indischen Ozean und ignorierten dabei tapfer den Fakt, dass das Meer unterhalb des Schiffsrumpfes irgendwas zwischen 1000 und 2000 Meter tief war.

Unser Ziel: Die Insel Hangnaameedhoo.

© Roman Jasiek

Als wäre die Zeit stehengeblieben

Wenn Ihr den Namen der Insel bei Google eingebt, werdet Ihr diverse touristische Einrichtungen auf diesem kleinen Eiland entdecken, einstweilen auch recht gut bewertet. Machten wir hier also nur eine Kaffeefahrt zur nächstbesten Nachbarinsel, um dort den Absatz von Souvenirs anzukurbeln? Mitnichten.

© Roman Jasiek

Wie die Dame von der Rezeption es angekündigt hatte: Die See blieb ruhig, der Himmel nicht. Nur wenig später, nachdem unser Dhoni seinen kurzfristigen Liegeplatz erreicht hatte, brachen die Wolken auf und ein ordentlicher Schauer ergoss sich über Hangnaameedhoo und somit auch über uns.

© Roman Jasiek

Kaum, dass wir angelandet waren, machte sich, vielleicht auch bedingt durch das Wetter, eine gar seltsame Stimmung breit. Irgendwie sah das alles ganz schön komisch aus hier. Ziemlich abgerockt, wenn Ihr mich fragt. So gut wie keine Menschen waren auf den sandigen Straßen zu sehen, dafür aber Müll. Wahnsinnig viel Müll. Und heruntergekommene Häuser, öffentliche Plätze, verschmutzte Strände und dergleichen. Also ein krasser Kontrast zu dem, was wir in den Tagen zuvor an paradiesischem Luxus auf Safari Island erlebt und genossen hatten!

© Roman Jasiek

Auf einigen der ebenfalls im Hafen liegenden, anderen Boote waren ein paar Männer zu sehen, die uns und den Rest unserer allenfalls zehnköpfigen Ausflugsgruppe in Augenschein nahmen. Wer wen beäugte, war nicht abschließend zu klären, aber die Situation war dem Empfinden nach eher unangenehm.

© Roman Jasiek

Die jungen Männer, die unser Dhoni gesteuert hatten, entpuppten sich auch als Guides, denen wir bei unserem Ausflug hinterherliefen. Und obwohl ich selten um Worte verlegen bin, fällt es mir doch wahnsinnig schwer, das Gesehene in Buchstaben zu kippen. Wirklich alles hier wirkte, als habe ein Investor inmitten verschiedener Bauvorgänge das Interesse und/oder das Geld verloren. Wir liefen an einem unfertigen Hochhaus („Hochhaus“ meint hier drei Etagen, aber das nur am Rande) vorbei, möglicherweise das Gerippe eines weiteren Hotels. Genauso unfertig und inzwischen wieder heruntergekommen, wie so vieles andere auf Hangnaameedhoo.

© Roman Jasiek

Auf der anderen Seite: Die Einrichtungen, die man via Google finden kann, haben wir auch gesehen. Ein Hotel hier, ein Restaurant da, sogar eine Tauchschule – aber alles verlassen und scheinbar sich selbst überlassen, wie die Insel und die Menschen, die dort lebten. So wirkte es zumindest. Und dass dort Menschen, einheimische Malediver, leben, davon wurden wir Zeuge. Wir kamen an einem Sportplatz vorbei, genauso voller Müll und abgerockt wie alles andere, auf dem ein paar Kinder Fußball spielten.

© Nicole Isensee

Es gab eine Schule, die sich der Weltoffenheit verschrieben hatte. Zumindest, wenn man nach den Schriftzügen geht, die an diesem Gemäuer prangten. Und natürlich gab es auch diesen einen Souvenirshop, der tatsächlich geöffnet war und in den wir alle einkehrten. Und sei es nur in der Hoffnung, ein neues Hemd oder T-Shirt zu finden, um die klatschnassen Klamotten auszutauschen.

© Roman Jasiek

Wir liefen durch eine Art Dschungel und kamen an einer kleinen Werft vorbei, ebenfalls über und über voll mit Müll, rostigen Dingen und Booten, die vielleicht nie wieder zu Wasser gelassen werden. An einigen wurde gearbeitet, und beinahe wirkte es so, als sollten die Seelenverkäufer (manche Boote waren einfach kaum mehr als das!) ein Ticket in die Freiheit sein.

© Roman Jasiek

Es ist irgendwie eine besondere Form von bitterer Ironie, dass das, was den Malediven den Wohlstand bringt, gleichzeitig wohl auch deren Untergang bedeuten wird. Je nachdem, wie gut es den Malediven gelingen wird, sich anzupassen, könnten bis Ende dieses Jahrhunderts aufgrund des Klimawandels große Teile davon unter den Wellen verschwunden sein. Bitter wird es nur noch, dass scheinbar in einigen Teilen dieser besonderen Welt der Wohlstand von jetzt auf gleich verschwunden zu sein scheint.

© Roman Jasiek

Ich kann Euch nicht sagen, ob Hangnaameedhoo eine Insel ist, die nur saisonal touristisch genutzt wird und den Rest des Jahres den Einheimischen überlassen bleibt. Aufgrund des teilweise desolaten Zustands von öffentlichen Einrichtungen bis zum Strand liegt die Vermutung aber sehr nahe, dass der Zeitpunkt, an dem zuletzt Reisende die Insel für länger als einen zweistündigen Aufenthalt besucht haben, schon eine ganze Weile zurückliegt. Auf seltsame Weise fasziniert von dieser Insel, erkundigten wir uns in unserem neuen favorisierten Reisebüro, ob und wenn ja welche Möglichkeiten es gibt, ein paar Tage auf dieser Insel zu verbringen.

© Nicole Isensee

Gerne hätten wir mehr davon mitbekommen, wie das echte Leben auf den Malediven aussieht, und nicht nur diesen entspannten Luxus-Lifestyle, der mit einem Urlaub auf diesem Archipel für gewöhnlich einhergeht. Wobei am Rande anzumerken ist, dass auch Safari Island, obwohl alles sauber und gepflegt, eine gewisse, wenn auch charmante „Abgerocktheit“ nicht leugnen kann. Die Dame im Reisebüro fand wohl das Hotel (VIVA Beach & Spa), aber keinen Anbieter, der die Bude ansteuerte, und dementsprechend auch niemanden, der dort Urlaub anbietet. Was den Eindruck, diese Insel sei „irgendwie vergessen“ worden, zusätzlich verstärkte.

© Roman Jasiek

Zunächst mal haben wir andere Ziele auf der Bucket List. Dennoch: Hangnaameedhoo behalten wir auf dem Schirm. Vielleicht kehrt das touristische Leben tatsächlich einmal zurück auf diese kleine Insel. Und wenn das der Fall ist, wird es sicher auch für uns zum Ziel.

© Roman Jasiek

Warum erzähle ich das? Einerseits, weil der Ausflug nach Hangnaameedhoo uns nachhaltig beeindruckt hat. Gerne hätten wir mehr Zeit dort verbracht, mehr darüber erfahren, was mit dieser Insel los ist. Ob das alles ganz normal ist, zur Hauptsaison ganz anders aussieht, oder ob es tatsächlich eines dieser Schicksale ist, bei dem sich Insel und Einwohner selbst überlassen bleiben, sobald die Einnahmequellen versiegen. Vielleicht erzähle ich es auch, um das Bewusstsein zu schärfen, dass hinter schnieken Hochglanzfotos oft auch eine andere Wahrheit steckt. Wie privilegiert wir hier sind, dass wir nicht durch Berge von Müll und Rost steigen müssen. Und dass es zum Glücklichsein manchmal erstaunlich wenig braucht. Manchmal reichen auch ein verregneter, abgerockter Bolzplatz, ein Ball und ein paar Freunde.

© Roman Jasiek

Roman Jasiek

Gardelegen, Germany
Hi, ich bin Roman! Ich bin ein Kind der 80er und schreibe seit Ende der 1990er-Jahre Dinge ins Internetz. Mein Herz schlägt für Musik, Comics, Collectibles, Essen, Reisen, Wandern und meine Lieblingsmenschen. Ich lebe und arbeite in Gardelegen.