Die Frage, was wohl wäre, wenn unsere geliebten Comic-Superstars in Strumpfhosen in die Jahre kämen, wenn sie quasi rüstig rentnernd durch ihr jeweiliges Habitat wuselten, um dem Verbrechen Einhalt zu gebieten, wurde schon so manches Mal nachgegangen. Am eindrucksvollsten und nachhaltigsten natürlich in Frank Millers ewigem Meisterwerk Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters aus dem Jahr 1986. Wohl kaum ein anderer Comic hatte den gleichen Impact.
Das hindert Comicschaffende aber freilich nicht daran, sich an diesem zeitlosen Klassiker zu orientieren und, wenn auch in eigener Herangehensweise, etwas Ähnliches erschaffen zu wollen. Und damit kommen wir direkt zur ersten Ausgabe von Spider-Man: Reign, von Panini Comics mit Das Regime untertitelt. Schöpfer Kaare Andrews folgte mehr als offensichtlich den Fußstapfen, die Frank Miller seinerzeit hinterlassen hat. Die sicherlich berechtigte Frage ist doch: Könnten diese Fußabdrücke vielleicht eine Spur zu groß gewesen sein?
Das genaue Datum verrät uns Reign nicht, allerdings befinden wir uns in einer Zukunft, gar nicht mal allzu weit entfernt von heute. Die Stadt New York ist seit gut 10 Jahren frei von jeglichen Angriffen irgendwelcher dahergelaufener Superschurken. Dafür verantwortlich sind Bürgermeister Waters und die paramilitärischen Ordnungshüter, die sich Reign nennen, und die auch mit teils tödlicher Gewalt vorgehen. Das gute alte New York hat sich in eine Art dystopischen Überwachungsstaat verwandelt und Waters steht vor der Krönung seines Werks: die Aktivierung eines Netzwerks aus Lasergeschützen, einer Kuppel über der gesamten Stadt, die auf den Namen Webb getauft wurde.
In dieser Welt befinden wir uns, als wir auf Peter Parker treffen. Alt, gebrechlich und gebrochen. Nahezu jeder Mensch, den er kannte, vor allem aber liebte, ist inzwischen nicht mehr am Leben. Auch MJ ist längst tot, begleitet aber als Halluzination eines gebrochenen Verstandes nach wie vor sein Leben. Davon abgesehen gibt es aber nach wie vor Konstanten in seinem Tagesablauf, die sich bis zum heutigen Tage nicht geändert haben. Peter hält sich mit Aushilfsjobs über Wasser und ist mehr pleite als alles andere. Eines Tages bekommt dieser, man kann es leider kaum anders bezeichnen, klapprige alte Mann Besuch von einem noch deutlich älteren, noch deutlich klapprigeren und vor allem wesentlich jähzornigeren Mann: J. Jonah Jameson. Sein Anliegen ist im Prinzip: Webb darf nicht starten, Peter soll sich den Staub aus dem Scheitel klopfen und sich wieder in seinen Anzug quälen, um das Allerschlimmste zu verhindern. Was dieser auch tut. Also zumindest, wieder den blauroten Anzug überzuziehen.
Unterwegs begegnet er alten, nur allzu vertrauten Bekannten, die gleichermaßen die letzten 30 Jahre vor sich hin gealtert sind: den Sinister Six. Oh, und dann ist da ja noch dieses Ding mit der Vorliebe für menschliche Gehirne, das die unerwiderte Liebe zu Peter nie so ganz überwunden hat …
Um noch mal auf die Einleitung dieses Textes zurückzukommen: Die Inspiration für diese zweifelsohne bemerkenswerte und besondere Story mit unserem beliebten Wandkrabbler lieferte Frank Millers Batman-Epos. Den deutlichsten Beweis dafür liefert wohl die Figur namens Miller Janson, der durchaus einiges an Bühnenzeit zugestanden wurde. Und ähnlich wie bei Millers Werk ist es bemerkenswert zu lesen, wie die Zukunft eines strahlenden Helden aussehen könnte. In diesem Fall ist sie alles, nur nicht strahlend. Vielleicht, und diese Frage lässt auch dieser Comic unbeantwortet, sind Schicksale wie die von Peter einfach unvermeidlich.
Spider-Man bzw. Peter Parker wird hier als alter, zerbrechlicher und vor allem gebrochener Mann porträtiert, dessen ewiger Kampf gegen das Böse ihm am Ende nichts brachte, als fortwährende Verluste. Selbst den Tod seiner Liebsten Mary Jane verpasste er. Eben sitzt er noch bei ihr am Krankenbett, es ist offenkundig, dass sie dieses nicht mehr verlassen wird, und schon ertönen irgendwo Sirenen in der New Yorker Nacht. Logisch, dass Spidey, in seinem Bestreben, die Unschuldigen zu schützen, die Maske herauskramt und los schwingt. Als er wiederkommt, ist das Bett bereits leer und neu bezogen. MJ ist gegangen.
Denk- und erinnerungswürdige Momente hat Kaare Andrews in seiner Sage so einige geschaffen. Zudem ist alles durchgehend spannend, straff und schlüssig erzählt. Dass viele Panels breit, dafür aber nur schmal in der Höhe sind, somit also wie Filmstreifen wirken, unterstützt den dystopischen, filmischen Eindruck sehr. Dass die Zeichnungen selbst keinen Blumentopf für überbordende Schönheit gewinnen – geschenkt. Das war bei Millers Ausflug in die Welt der Fledermaus damals auch so. Effektiv, das ist der Begriff, der mir hinsichtlich der Zeichnungen in den Sinn kommt. Nicht schön, aber auf den Punkt, um die Handlung voranzutreiben und der jeweiligen Szene die nötige Dramatik zu verleihen.
Kaare Andrews’ Story erschien ursprünglich schon 2007 und es sieht sehr danach aus, als sei die Story bisher von Panini nicht veröffentlicht worden. Warum jetzt und warum in diesem Format und nicht etwa in der Marvel Must-Have-Reihe, ist mir nicht bekannt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Spider-Man: Reign eines Tages auch in besagter Reihe als Hardcover noch einmal neu aufgelegt wird. Denn unterm Strich ist es nicht weniger als das: ein Must-Have für alle Fans des Wandkrabblers, die sich für ungewöhnliche und dramatische Geschichten begeistern können. Ich freue mich schon jetzt auf den zweiten Band! Und somit abschließend und in Bezug auf die Ausgangsfrage: Nein, die Fußstapfen waren nicht zu groß.

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