Ich bewundere den Arbeitseifer bzw. die Arbeitsmoral von Taylor Swift. Ja wirklich. Wenn ich mir anschaue, wie wenig Artikel ich hier in den vergangenen Wochen rausgehauen habe, wird mir nur noch mehr bewusst, was für eine unfassbare Maschine diese Frau ist. Das letzte Album, The Tortured Poets Department, hat sie während ihrer ausufernden, Rekorde brechenden The Eras Tour produziert. The Life of a Showgirl, direkt im Anschluss während eines Aufenthalts in Schweden. Ich hätte ja nach solch einer Tour zunächst einmal Urlaub gemacht, zwei Jahre oder so, und dann so langsam wieder darüber nachgedacht, einen Finger zu rühren. Und auch zuvor war Taylor Swift ja nicht untätig. Vermutlich ist da aber immer noch so viel Musik in dieser jungen Frau, die einfach raus muss. Und das wisst Ihr alle: Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich. Vor allem, wenn einem etwas wichtig ist. Und dass Musik zu machen für diese Künstlerin enorm wichtig ist, daran dürfte sie kaum einen Zweifel gelassen haben.

Nun also The Life of a Showgirl mit dem, nun ja, aufreizenden Cover Artwork. Oder besser: Artworks. Dieses Album ist in so vielen verschiedenen Versionen und Formaten erschienen, dass ich irgendwann den Überblick verloren habe. Das ist gewiss ein uncooler Punkt, den man der Geschäftsfrau Taylor Swift ankreiden kann. Das hat schon ein unangenehmes Geschmäckle. So wie ich das beobachten konnte in diesem Internetz, in dem sich immer alle kundtun, kam das bei so einigen Swifties nicht wirklich richtig gut an. Denn nicht nur, dass es gewiss so manches Monatsbudget übersteigt, alle Versionen des Albums besitzen zu wollen – und Hardcore Swifties werden das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit –, war es gerade bei den limitierten Vinyl-Pressungen vermutlich den allermeisten echten Fans gar nicht möglich, eine Platte zu ergattern. Inzwischen findet man solcherlei limitierte Vinyls bei eBay für das drei- bis vierfache des Originalpreises. No shit, Sherlock, aber Fans werden das wohl nicht gewesen sein.
Wie dem auch sei: Die Veröffentlichungspolitik ist irgendwas zwischen diskussionswürdig und kacke, aber ist nun mal so. Am Ende des Tages: Wer gar kein Milchgeld investieren möchte, kann das Album auch über einen Streamingdienst der Wahl konsumieren. Und damit bin ich eigentlich schon auch fertig mit meinem Herumgepupe und komme zu der Feststellung, die ich nachfolgend noch zementieren werde: Es lohnt sich, dieses Album zu hören!

Als bekannt wurde, Taylor Swift hätte sich für die Produktion ihres 12. Albums erneut mit den Produzenten Max Martin und Shellback zusammengetan, kam mancherorts die Vermutung auf, auf die Swifties käme ein zweites 1989 zu oder ein neues Reputation gar. Von Bangern, die im Radio und auf dem Dancefloor direkt für eigenmächtiges Herumzappeln verschiedenster körperlicher Extremitäten sorgen – ich denke da beispielsweise an Blank Space, Shake It Off oder Out Of The Woods –, fehlt auf dem neuen Album nicht jede Spur, nein. Aber die Banger dieses Albums möchten in den meisten Fällen wenigstens ein zweites Mal gehört werden, ehe sie anfangen, sich unentrinnbar im Hirn festzusetzen. Soweit jedenfalls meine Feststellung nach dem ersten Hördurchgang. Inzwischen bin ich drölfhundert Hördurchgänge weiter (Release-Party im Kino inklusive) und frage mich, warum das so war. Andererseits mache ich die Feststellung jedes Mal bei Taylor. Irgendwie bleibe ich immer zuerst auf den Texten hängen, ehe mich die Musik in Bewegung und Verzückung versetzt.
Ausgenommen natürlich der Flaggschiffsong dieses Albums, The Fate of Ophelia, mit aufwendigem und sehenswertem Video versehen. Diese Nummer, bei der Taylor ihre Begeisterung für Shakespeare auslebt, geht direkt ins Ohr. Und bleibt dort. Ungemein catchy, ungemein gut! Wer sich die Release-Party in einem teilnehmenden Kino gegeben hat, kam in den Genuss nicht nur eines Blicks hinter die Kulissen der Entstehung des Videos, sondern auch eines Track-by-Track-Kommentars der Künstlerin. Über The Fate of Ophelia wusste sie zu berichten, dass die Inspiration die tragische Heroine Ophelia lieferte, die in Shakespeares Hamlet ein bedauernswertes Ende fand. Taylors Ansatz: Nö, dieses Mal geht die Geschichte gut aus, zumindest für Ophelia.
Und damit kommen wir zu einem ganz wesentlichen Punkt dieses Albums: der durch und durch positiven Stimmung des Albums, die in krassem Kontrast zum Vorgängeralbum The Tortured Poets Department steht. Dass Taylor gerade ziemlich glücklich ist, frisch verlobt und einer Eheschließung mit ihrem Footballer Travis Kelce entgegenblickend, dürfte nur nicht mitbekommen haben, wer unter einem Stein haust.
Glücklich zu sein, ist aber auch harte Arbeit, eine bewusste Entscheidung. Davon handelt Opalite, die musikgewordene Umsetzung des Sinnspruchs „Wenn das Leben dir Zitronen gibt, frag nach Salz und Tequila“.
Noch ist Taylor Swift an der Spitze, jagt von Rekord zu Rekord. Aber sie hat in der Vergangenheit selbst schon erleben müssen, wie es ist, wenn sich der Wind der öffentlichen Meinung dreht. Und nichts währt ewig, das dürfte wohl auch allen klar sein. Taylor jedenfalls ist sich dieser Tatsache ziemlich bewusst und thematisiert die Frage, was wohl wird, wenn ihr Stern sinkt, in Elizabeth Taylor. Die Filmdiva war auch für Hollywood nicht mehr wirklich interessant, kaum dass sie die 40 Jahre überschritten hatte und körperlich nicht mehr über die seinerzeit gewünschten Idealmaße verfügte. Taylor Swift wird am 13. Dezember dieses Jahres 36, im kommenden Jahr ist sie seit 20 Jahren im Showbusiness tätig, und so fürchterlich viele neue Erfolge dürfte es für sie kaum noch zu erreichen geben. Da kann man sich schon mal die Frage stellen, wie lange das alles noch gutgeht.
Hervorheben möchte ich in dem Zusammenhang das Stück Father Figure, das (mit Genehmigung!) mit einer Interpolation einer klassischen Zeile des gleichnamigen Welthits von George Michael aufwartet. Wie gesagt, 20 Jahre in einem Geschäft, in dem ich offen gesagt nicht sein möchte. Sie beschreibt hier die großkotzigen Typen, die „lass das mal den Papa machen“-Heinis, die Mansplainer, die jungen Menschen (vorwiegend wohl jungen Frauen) aufzeigen wollen, wo der Frosch die Locken hat. Später dreht sich das Blatt und somit die Perspektive dieses Songs. Interessant: Im Track-by-Track erklärte Taylor, dass sie sich mit beiden Seiten identifizieren kann, oder zumindest nachvollziehen.
Und ja, auch wenn Taylor gerade augenscheinlich glücklich ist: Ihre Krallen hat sie nicht verloren und sie weiß sie sehr wohl noch einzusetzen. Actually Romantic bezieht sich auf einen Beef mit Charli XCX. In der ersten Strophe singt sie dort:
I heard you call me "Boring Barbie"
when the coke's got you brave
High-fived my ex and then you said you're glad he ghosted me
Wrote me a song saying it makes you sick to see my face
Some people might be offended
Ob sich Taylor hier tatsächlich an der britischen Sängerin abarbeitet oder das alles eigentlich ganz anders gemeint ist, überlasse ich der Spekulation. Etwaige Beschwichtigungen von Taylor einkalkulierend. Die Aussage ist eigentlich eine andere: So viele Menschen haben nichts Besseres mit ihrem armseligen Leben zu tun, als sich über andere zu echauffieren. Neid und Missgunst halte ich für das größte Übel unserer Zeit. Taylor hat mit diesem Song allerdings einen ganz wunderbaren Weg gefunden, damit umzugehen. Immer wenn sich jemand einreiht und sich qualifiziert, Euch am Ende Eurer Wirbelsäule wie eine Briefmarke zu behandeln zu dürfen, denkt an Taylor. Denkt an Taylor und freut Euch, dass jene Person so viel Energie aufwendet und so oft an Euch denkt in dem Versuch, den Tag irgendwie madig zu machen. Es ist die verschwendete Lebenszeit dieser Person, nicht Eure. Bei so viel Mühe, da kann man doch schon mal klatschen, oder?
Müssen wir auch an dieser Stelle über Wood reden, das Taylor in dem Film zum Album nur süffisant lächelnd kommentierte, es handele sich hierbei um ein Lied über Aberglauben? Müssen wir wohl, weil sich etliche Medien (bis hin zum Spiegel) postpubertär kichernd darüber ausließen, dass Taylor hier einigermaßen horny gewesen sein muss, als der Song entstand. Schließlich heißt es dort im Chorus:
Forgive me, it sounds cocky
He ah-matized me and opened my еyes
Redwood tree, it ain't hard to see
His love was thе key that opened my thighs
Uiuiui, Untergang des Abendlandes, wenn eine erwachsene Frau einen Anflug von Erotik in ihre Texte einfließen lässt! Erwähnenswert finde ich andere Aspekte. Zum Beispiel, dass der Text in der Version, die im Kino vorgeführt wurde, abgeändert wurde. Dort nämlich hieß es „his love was the key that opened my skies“. Wieso, weshalb und warum die Zeile abgeändert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ist aber kein Einzelfall. Auf der mir vorliegenden Albumfassung ist in Father Figure garantiert nicht die Rede von bigger checks. Das aber nur am Rande. Ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus: Fühlt sich außer mir eigentlich noch jemand sehr an I’m Coming Up von Diana Ross erinnert? Vergleicht mal und lasst mich wissen, ob ich mir diese Ähnlichkeit nur einbilde.

Apropos Diana Ross: Überhaupt hat The Life of a Showgirl für meine Ohren und mein Empfinden oftmals einen wunderbaren Retro-Touch. Immer wieder kommt es mir so vor, als würden jede Menge 70er-Jahre-Vibes mitschwingen. Natürlich gibt es in Stücken wie Cancelled, das mit überraschend grungiger Gitarre um die Ecke kommt, auch moderne Sounds. Dann wiederum frickeln sich tüdelige Jazz-Sounds ins letzte Drittel eines Liedes (Honey). Das macht das Album zu einem interessanten Hörerlebnis, vor allem wenn man es über Kopfhörer konsumiert und sich die Zeit nimmt, die vielen Details auf sich wirken zu lassen. Im Zusammenhang mit Kopfhörern doch noch mal ein bisschen Gemaule auf höchster Stufe: 3D-Audio hätte es schon werden dürfen. Das Fehlen dieser Soundeigenschaft hat mich überrascht, zumal es früheren Alben innewohnt.
Das alles macht es vielleicht nicht zu Taylors bestem Album – das ist schließlich ohnehin jedes –, aber mit Sicherheit zu einem, wenn nicht gar dem zeitlosesten Album. Zudem funktioniert die pfiffige Produktion auf mehreren Ebenen. Es gibt eben doch die Banger, zu denen man das Tanzbein schwingen kann. Man kann das Album auch mit geschlossenen Augen genießen und sich von den wie üblich cleveren Texten in die kleinen Geschichten und die Welt drumherum entführen lassen. Oder sich in ähnlichem Setup eigene erfinden. Und auch für die Beschallung im Hintergrund eignet sich das Album bestens, da sich die Produktion einfach nicht in den Vordergrund drängt. Das möchte ich bitte ausdrücklich als Pro-Argument verstanden wissen, überkandidelte Popmusik gibt es schließlich mehr als genug und manches Mal stresst es einfach, wenn dieses oder jenes den Raum füllt. Musik ist oft wie eine Freundin, und gute Freunde wissen einfach, wann es besser ist, sich auch mal vornehm zurückzuhalten.
Doch, ich mag dieses Album sehr. Glücklich steht Taylor gut und die Fähigkeit, tolle Popsongs zu machen, ist ihr damit nicht abhanden gekommen. Zum Glück! Gerade kommt mir Adele in den Sinn, die dereinst die vier Jahre Pause zwischen ihren Alben 21 und 25 damit erklärte, es sei ihr einfach zu gut gegangen, um wirklich gute Songs schreiben zu können. Denkt an The Tortured Poets Department und meinen Vergleich zum Buch Vincent: Große Kunst entsteht immer dann, wenn es dem Menschen hinter der Kunst nicht so richtig gut geht. Erleben wir hier die Ausnahme dieser Regel?
Wenn The Life of a Showgirl eines zeigt, dann jedenfalls, dass Taylor Swift offenbar in jeder Lebens- und Gemütslage in der Lage ist, Musik zu produzieren. Verdammt gute noch dazu. Möge sie damit noch lange nicht aufhören, mancherorts zu vernehmendes Geunke, dieses Album könne ein Abschied sein bzw. ihre Überlegungen in Elizabeth Taylor hin oder her. „But I'm immortal now, baby dolls“, singt sie gegen Ende in dem Titelstück und Duett mit Sabrina Carpenter. Kein Zweifel. Und ich glaube, Taylor Swift hat mit ihrem neuen Album vielmehr den Vorhang geöffnet für die nächste Stufe ihrer Entwicklung.
Soll mir recht sein. The Life of a Showgirl ist ein tolles Album, mit dem man viel, viel Spaß haben kann. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt – ich klappe die Augen wieder zu und lausche noch ein wenig den 12 Tracks dieses Albums. 🤍

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